Bildung ist in unserer Leistungsgesellschaft der Schlüssel für sozialen Aufstieg und einen sicheren Arbeitsplatz. Sie erfordert einen langen Atem und kostet Geld, Zeit und Energie. Die Früchte einer guten Ausbildung erntet aber nur jener, der die Gelegenheit erhält, das Erlernte in der Arbeitswelt erfolgreich umzusetzen. Denn was hilft die beste Qualifikation, wenn am Ende der Ausbildung kein hinreichender Bedarf am Arbeitsmarkt vorhanden ist? Nun ließe sich vorschnell urteilen, dass sich Betroffene vor der Ausbildung hätten besser über die Berufsaussichten informieren müssen... Wer es sich hier zu einfach macht, blendet jedoch aus, dass die Wahl der Ausbildung stark von den Angeboten im Bildungssektor abhängig ist und verkennt obendrein ein großes Problem unseres Bildungssystems: Viel zu oft wird in Deutschland am tatsächlichen Bedarf vorbeiqualifiziert. (...)
Aussagen über einen Mangel an Fachkräften kennen wir alle. Leider wird kaum thematisiert, dass dieser Mangel auf der einen Seite mit Fehlqualifikationen andererseits eng verbunden ist. Im Falle daraus resultierender Arbeitslosigkeit spricht man von einem so genannten „Mismatch“. Eine solche Nichtübereinstimmung zwischen den Anforderungsprofilen vakanter Stellen und der Qualifikation Arbeitssuchender ist ein bedeutendes Merkmal struktureller Arbeitslosigkeit in Deutschland. Für den Einzelnen schlimm genug, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, leidet die Allgemeinheit unter jeder Fehlqualifikation. Denn Bildung kostet Steuergeld, welches dann letztlich für eine Qualifikation verwendet fand, derer am Arbeitsmarkt nicht ausreichend Nachfrager existieren.
Bildungspolitik verfehlt ihr Ziel, wenn sie den Ansprüchen am Arbeitsmarkt nicht gerecht wird und den Bedarf außer Acht lässt. Schon in der allgemeinbildenden Schule muss bei der Auswahl der Lerninhalte auf die späteren Anforderungen im Beruf abgestellt werden. Nichts ist gegen ein breites Faktenwissen einzuwenden, aber die Schlüsselfähigkeiten, die für das weitere Lernen und Vorankommen unabkömmlich und obendrein beständiger sind, müssen in Zukunft in der schulischen Lehre noch größeres Gewicht erhalten. Dazu gehören beispielsweise sprachliche Fähigkeiten, soziale Kompetenzen und die Befähigung zum selbstständigen und eigenmotivierten Lernen. Nacktes Faktenwissen führt nur zur Fachidiotie und überholt sich schnell.
Eine konsequente Ausrichtung der Bildung auf die Bedarfe der Arbeitswelt muss sich genauso in den Angeboten von Berufsschulen, der überbetrieblichen Lehre und in Hochschulen widerspiegeln. Wir brauchen nicht zuvorderst mehr Bildung und immer mehr Geld für diese dauernde Aufgabe, sondern müssen uns um die Effektivität des Bildungssystems kümmern, indem wir uns an der Nachfrage und den Anforderungen am Arbeitsmarkt orientieren. Als nach der Wiedervereinigung Millionen Ostdeutsche arbeitslos waren, half der Staat mit großzügigen Umschulungsprogrammen, häufig jedoch ohne ein Gespür für die reale Arbeitsnachfrage zu entwickeln. Erinnern wir uns an die große Zahl der Umschulungen auf Bauberufe, obschon Mitte der Neunziger Jahre der Bauboom absehbar seinem Ende entgegen ging. Die Folgen solcher Fehlentwicklungen, die angebotsseitig vom Bildungsapparat mit zu verantworten waren, zeigten sich sodann in der erneuten Arbeitslosigkeit vieler Umschüler und einem zunehmenden Lohndruck in den betroffenen Branchen, der durch das Überangebot an Fachkräften ausgelöst wurde.
Eine gute Ausbildung allein ist nicht automatisch ein Garant für Arbeit. Dies zeigt sich umso deutlicher bei formal hervorragend qualifizierten Hochschulabsolventen, die sich heutzutage (anfangs) viel zu häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen wiederfinden. Treffend spricht man von der Generation Praktikum. Aber wo liegen denn die Ursachen für solche Verwerfungen? Aus meiner Sicht ganz entscheidend in der Art und Ausgestaltung der Studienangebote an den Hochschulen. Hier kann der Staat den größten Einfluss darauf nehmen, ob die Nachfrage am Arbeitsmarkt mit bestimmten Hochqualifizierten gedeckt werden kann oder ob, durch eine zu große Zahl bestimmter Abschlüsse, am Ende prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitslosigkeit folgen. Die Hochschulen sind dazu angehalten, in Zukunft noch stärker als bislang bedarfsadäquat auszubilden und Studienplätze weniger nach hochschulwirtschaftlichen Kriterien, als vielmehr nach der Arbeitsnachfrage in Art, Ausgestaltung und Anzahl anzupassen. Dies gilt genauso für die geforderte größere Praxisnähe des Studiums anstelle eines verschulten Lehrsystems.
Man könnte noch weitere Beispiele im gesamten Bildungssystem aufführen, bei denen bisher zu wenig Augenmerk auf eine bedarfsorientierte und anforderungsgerechte Ausbildung, Weiterbildung oder Schulung gelegt wurde. Ob Maßnahmen zur Integration und Mobilisierung von ALGII Empfängern, überbetriebliche Ausbildungsplätze, der Schulunterricht oder das Studium: Letztendlich läuft es überall darauf hinaus, dass sich der Staat mit der Gesamtheit seiner Bildungsressourcen mehr als bisher auf den Bedarf des Arbeitsmarktes konzentrieren muss. Es sollte immer die Kernfrage im Mittelpunkt stehen, ob mit dem jeweiligen Bildungsangebot zielgerichtet, bedarfsgerecht und nachhaltig den Anforderungen am Arbeitsmarkt Rechnung getragen wird und einem heutigen und zukünftigen Fachkräftemangel adäquat zu begegnen ist.
Autor: André Glöckner